Die EinKlang-Philharmonie für Alle hört nach zwölf Jahren auf

In den vergangenen zwölf Jahren hat die EinKlang-Philharmonie für Alle insgesamt 45 Programme mit 85 Konzerten inklusive zweier Opernproduktionen in Münster und Umgebung gespielt, ab 2019 dreißig der Konzerte in der Formation als MikroPhilharmonie. Die Coronapandemie hat, wie bei allen Kulturschaffenden, einen tiefen Einschnitt in unsere Aktivitäten bedeutet, mit erheblichen Verwerfungen und Langzeitwirkungen. Diese haben zusammen mit weiteren Aspekten dazu geführt, dass wir die Aktivitäten der EinKlang-Philharmonie mit unserem Sommer-Open-Air im Juni/August beenden werden.

Publikum

Unsere Besucherzahlen sinken seit längerer Zeit kontinuierlich. Dies führte bis zur Absage unseres Konzerts am 7.5.23 in Lengerich wegen nur sechs verkaufter Karten. In Münster konnten wir mit großen Anstrengungen noch für 76 Zuhörer:innen sorgen. Dabei ist unsere Werbung immer sehr umfangreich: neben Plakaten und Anzeigen in Veranstaltungs­broschüren stand unser Konzert in mehreren Print- und Onlinekalen­dern und wurde in diesem Jahr auch über social media mit gekauften Posts beworben. Mehrere Tausend Menschen im Münsterland mit einem musikaffinen Profil haben wir auf diese Weise persönlich erreicht. Ein spürbarer Erfolg ist ausgeblieben. Früher wurden am Erscheinungstag unserer Konzertankündigung in den Westfälischen Nachrichten 30 bis 50 Karten verkauft. Beim letzten Mal waren es genau zwei.

Wir sehen mehrere mögliche Ursachen für den immer schwächer werdenden Besuch:
-verändertes Freizeitverhalten seit Corona
-die Konkurrenz der vielen Streamings und „Umsonstkonzerte“
-schwindendes Interesse an unserem musikalischen Profil „Große Sinfonik in Kammerfassungen“. (Publikumsmagneten sind offenbar nur noch Großveranstaltungen mit möglichst viel Showeffekten, vielen Mitwirkenden, oder berühmten Namen).

Programmwahl oder künstlerische Qualität der MikroPhilharmonie halten wir dagegen nicht für die Ursache.

Ensemblebesetzung
Die Mitglieder der MikroPhilharmonie müssen aufgrund der solistischen Besetzung höchsten musikalischen Ansprüchen genügen und große Orchestererfahrung mitbringen. Wir wünschen uns obendrein Mitglieder, die sich mit unserer musikalischen Ausrichtung identifizieren und sich dem Ensemble verbunden fühlen. Die geeigneten Musiker:innen können wir schon länger nicht mehr im direkten lokalen Umfeld finden. Bei den Projekten der letzten beiden Jahre kam inzwischen bis zur Hälfte unserer Besetzung aus Düsseldorf, Köln, Dortmund, Essen oder Detmold. Die mehrfachen stundenlangen Anreisen zu Proben und Konzerten belasteten diese Musiker:innen enorm. Die nicht zu kalkulierenden Risiken bei der desolaten Deutschen Bahn zehrten bei ihnen -wie bei uns als Verantwortlichen- an den Nerven und machten jedes Projekt zu einem Hochrisikounternehmen. Dabei wurde die Suche nach geeigneten Ensemblemitgliedern unvorstellbar zeit- und arbeitsaufwändig, sie übersteigt unsere Kräfte und Kapazitäten seit längerem.

Organisation
Auch die allgemeine Organisation wird immer unerfreulicher – ein Beispiel sind Probenräume. Ständig wachsende bürokratische Hürden und Formalitäten haben die unkomplizierten Verfahren von früher abgelöst, als wir von den Hausmeistern an der Universität einfach die Schlüssel für unsere Probenräume bekamen. Heute müssen für die Nutzung von Schulaulen oder Uniräumen Anträge mehrfach hin und hergeschickt werden, zusätzliche Kosten für Wach-und Schließgesellschaft werden fällig.

Da wir als freies professionelles Ensemble im Normalfall nicht auf vorhandene Infrastruktur und auch kein entsprechendes Personal und Budget zurückgreifen können, gibt es keinen Stuhl für uns oder unser Publikum, der von selbst an seinem Platz steht. Es gibt kein Podest, keinen Scheinwerfer und kein Mikrofon, das wir nicht vorher organisiert haben. Kein Programmheft und kein Plakat gestaltet, druckt und verteilt sich von selbst. Kartenerstellung, Abendkasse mit Wechselgeld, Personal für den Einlass, Werbung, Betreuung der Website, die Raum- Personal- und Finanzorganisation samt Überweisungen, umfangreichen Abrechnungen und Rechenschaftsberichten für die Zuschussgeber bedeuten ebenfalls wochenlang Computer, Telefon, Ortsbesichtigungen. Auch Notenbeschaffung, -einrichtung, -kopieren und -versand hat sehr viele aufwändige Arbeitsschritte. Für auswärtige Musiker:innen musste nicht selten ein Nachtquartier bei uns, bei Freunden oder den münsterschen Ensemblemitgliedern gefunden werden.

Fazit
Wir haben sehr bewusst 2011 die alleinige Verantwortung für das EinKlang-Ensemble mit einem Jahresumsatz von bis zu 200.000 € übernommen. Und wir sind glücklich und dankbar dafür, dass wir in diesen zwölf Jahren mit unseren Musikerinnen und Musikern zusammen so großartige und erfüllende Musik machen konnten.

Aber wir sind von alledem auch müde geworden. Und uns scheinen Konzerte vor 76 Zuhörer:innen diesen ungeheuren personellen, logistischen und finanziellen Aufwand nicht mehr zu rechtfertigen. Die Summe aller Faktoren hat uns zu der schweren Entscheidung gebracht, unser Herzensprojekt nicht mehr weiterzuführen.

Epilog: Wandel in der Gesellschaft
Wir sprechen bei allen Aspekten nicht von einer speziellen Situation der Einklang-Philharmonie. Bundesweit machen Musikschaffende ähnliche Erfahrungen. In einer kürzlichen Sitzung im NRW-Kultus­ministerium wurde die Situation der vom Land geförderten Ensembles thematisiert (wir sind eines davon). Fazit: die meisten Gruppen berichten über massiven Publikumsrückgang. Und niemand im Ministerium oder in den Ensembles hatte eine Idee, wie die Situation umzukehren wäre. Viele sprechen daher von einem bedeutenden gesellschaftlichen Umbruch. Und der betrifft nicht nur die Freie Szene.

Auch das mit 22 Millionen Euro pro Jahr subventionierte Theater Münster sagt inzwischen Vorstellungen ab wegen mangelnden Publikumsinteresses und wird die laufende Spielzeit mit einem Defizit von über 700.000 € beenden. Ob die Erhöhung der Eintrittspreise um bis zu 20 % der richtige Weg ist oder eher von Ratlosigkeit angesichts der Gesamtsituation zeugt, bleibt abzuwarten.

Der Ausklang

Am 18. Juni und 19. August findet unser Open-Air NATÜRLICH im Schlossgarten und auf der Sommerbühne des Kap.8 in Münster statt. Wir haben in Gesprächen mit der Bezirksregierung erreicht, dass wir diese Veranstaltungen bei freiem Eintritt durchführen dürfen. Wir möchten anlässlich der fünf erfolgreichen Jahre unserer MikroPhilharmonie die Bevölkerung Münsters und Umgebung zu diesen attraktiven Konzerten mit herrlicher Musik in entspannter Atmosphäre einladen. Und wir möchten zusammen mit unseren Musikerinnen und Musikern von EinKlang einen fröhlichen Abschluss unseres gemeinsamen Musizierens im traumhaften Schlossgarten feiern.

Lisa Bröker und Joachim Harder
Künstlerische Leitung und Geschäftsführung                                                                                Münster, den 18. Mai 2023